HS2 ist über den Berg, die Regierung hat die Zustimmung zu dem Projekt trotz enormer Kostensteigerungen und einer geplatzen Terminschiene gewährt: https://www.bbc.com/news/business-51443421
Es wurde schon lange bemängelt, dass unter objektiver Betrachtung die Kosten zu niedrig angesetzt und der Bauablauf zu optimistisch geplant wurde.
High Speed 2 ist ein Schnellstreckennetz ähnlich dem japanischen Shinkansen. Ziel ist die Entnahme des Fernverkehrs von der überlasteten West Coast Main Line und eine schnelle Verbindung zwischen Brimingham und Nordengland mit London. Es ist geplant, Züge mit europäischem Lichtraumprofil auf High Speed 2 sowie neue Züge mit englischem Lichtraumprofil auf Abschnitten von High Speed 2 und Verbindungsstrecken mit dem Altnetz einzusetzen.
vielleicht ist es interessant, mal das Bestandsverkehrsangebot auf der südlichen WCML aufzuschlüsseln.
Grundsätzlich liegen vier Gleise entlang der südlichen WCML, je ein Paar Fast- und ein Paar Slow-Gleise. Zwischen Watford Junction und London Euston gibt es noch das mit Stromschiene elektrifizierte dritte Gleispaar der Watford DC line, das ich hier aber nicht weiter betrachte. Das Slow-Gleispaar führt via Northampton, während das Fast-Gleispaar die direkte Strecke zwischen Milton Keynes und Rugby darstellt. In Rugby zweigt die wichtige zweigleisige Hauptstrecke nach Birmingham ab, während es Richtung Liverpool, Manchester und Schottland von Rugby bis Nuneaton dreigleisig, dahinter viergleisig weitergeht.
London Northwestern Railway fährt halbstündliche Locals mit Halt an jedem Bahnhof zwischen Euston und Tring. Ebenfalls halbstündlich verkehren Lokalzüge mit abschnittsweisem Expressverkehr nach Milton Keynes, wobei jeder zweiter Zug nicht von London Northwestern nach Euston, sondern von Southern nach Clapham Junction gefahren wird. Dazu kommen die, ich nenne sie mal Regionalexpresse, welche zwischen Euston und Birmingham/Crewe im Viertelstundentakt verkehren und im Raum London nur mit jedem zweiten Zug in Watford Junction halten. Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/West_Midla...western_Railway
Im Fernverkehr fährt Avanti West Coast viertelstündlich nach Birmingham (davon halbstündlich weiter nach Schottland), außerdem halbstündlich nach Preston (abwechselnd weiter nach Blackpool oder Glasgow), alle 20 Minuten nach Manchester sowie halbstündlich nach Crewe (abwechselnd weiter nach Liverpool oder Chester). Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Avanti_West_Coast#Services
In der Hauptverkehrszeit fährt somit Avanti West Coast 10x die Stunde ab Euston, London Northwestern 7x die Stunde. Ab Willesden Junction drängt sich nicht nur der Southern-Zug noch dazu, sondern auch diverse Güterzüge.
London Euston hat 18 Bahnsteiggleise, um dieses Betriebsprogramm abwickeln zu können, davon sind aber 2 zur Zeit außer Betrieb wegen der HS2-Baustelle. Gegenwärtig ist geplant, dass mit HS2 dann 24 Bahnsteige vorhanden sein sollen.
Auf der HS2 werden 18 Zuege je Stunde und Richtung verkehren koennen. Initial wird die Vmax im Regelbetrieb 360 km/h betragen, spaeter sollen es sogar 400 km/h sein.
Eine Verbindung zwischen HS1 und HS2 war mal geplant, wurde aber 2014 verworfen. Es gibt also keinen direkten Link.
Zitat von Yorkshire Lad im Beitrag #4Initial wird die Vmax im Regelbetrieb 360 km/h betragen, spaeter sollen es sogar 400 km/h sein.
Hallo Stef,
ich glaube das nicht. Das mag ein Tory-Versprechen oder die gleisbauerische Entwurfsgeschwindigkeit sein. Aber aus den Vorlesungen an der TU und aus Presseveröffentlichungen der Chinesen bei der Eröffnung deren Hochgeschwindigkeitsnetz habe ich mitgenommen, dass eine Zugfahrt allgemein von A nach B bei 350 km/h doppelt so viel Energie verbraucht wie bei 300 km/h, und das bei geringem Zusatznutzen. Die wesentlichen Fahrzeitverkürzungen lassen sich in den unteren Geschwindigkeitsbereichen erzielen; eine Steigerung von 40 auf 80 km/h halbiert die Fahrzeit, während eine Steigerung von 320 auf 360 rechnerisch nur eine Verkürzung von 11% erzielt. Außerdem werden die Spitzengeschwindigkeiten naturgemäß nur in der Mitte der Fahrstrecke erzielt, über eine Strecke, die mit steigender Geschwindigkeit (bei angenommener gleichförmiger Beschleunigung) immer kürzer wird. Der Transrapid in Shanghai hält seine Spitzengeschwindigkeit von >400 km/h über nur 30 Sekunden, bis er wieder bremsen muss, und ist ein finanzielles Desaster. Daher erreicht man die großen Geschwindigkeitsvorteile ganz allgemein mittels geradlinigen Innenstadttunnel und großzügig ausgelegte, kurz gehaltene Bahnhofs-Weichenvorfelder, für die auch mal Stadtteile abgerissen werden (so hart das auch klingen mag). High Speed 2 macht genau das, inklusive Teilabriss von Wohnsiedlungen in London Camden.
Die 320 km/h habe ich aus der Wikipedia gefischt (https://en.wikipedia.org/wiki/High_Speed_2), welche wiederum diese Quelle hier angibt: https://www.channel4.com/news/factcheck/...r-bullet-trains Dort wird noch einmal klargestellt: Betriebsgeschwindigkeit 320 km/h, technisch mögliche Geschwindigkeit 360 km/h, Trassierung für (in ferner Zukunft vielleicht mal machbaren, wenn das Energieproblem gelöst ist) 400 km/h.
In diesem Dokument ist zusammengefasst, welche Anforderungen die Züge erfüllen müssen. Dabei ist genannt, dass zumindest die erste Charge von 54 Zügen das britische Lichtraumprofil (kompatibel zur WCML) einhalten muss und das die "operation speed" 360 km/h betragen muss:
das britische Parlament hat die Phase 2a von High Speed 2 bestätigt. Somit gilt es nun als politisch gewollt, auch die Verlängerung nach Crewe zu bauen.
Tonight Parliament finally approved #HS2 phase 2a. 57km long, UK's 3rd high speed railway is essential in a #ClimateEmergency to shift travel from cars, planes & lorries to rail ✈️🚛🚙➡️🚆🌍 pic.twitter.com/yKP3MOERN1
Zitat von FelixM im Beitrag #7Kennt jemand den aktuellen Stand der Phase 1? Dass die Verträge für die Bahnhöfe vergeben worden sind, habe ich mitbekommen. War schon Baustart?
Ja, gebaut wird schon. Ein alter Kollege und guter Freund ist General Manager dort. Mal gucken, was ich so zusammentragen und posten kann/darf.
eigentlich interessiere ich mich eher aus der nostalgischen Modellbahnperspektive für die britische Eisenbahn. Gestern bin ich jedoch über eine Meldung gestolpert, die bei mir ein erhebliches Stirnrunzeln ausgelöst hat. Es ging um die aktuelle Kostensteigerung beim HS2 Projekt, welches in diesem Thread auch schon kurz angerissen wurde. Neben der Rasanz der Kostensteigerung macht mich vor allen Dingen die absolute Zahl stutzig. Da ist momentan von 106 Mrd GBP die Rede, umgerechnet über 120 Mrd Euro. Das ist atemberaubend!
Wenn ich das mit den deutschen Schnellfahrstrecken in Relation setze, bekomme ich das nicht mehr übereinander. Aktuell liegt z.B. Stuttgart-Ulm kurz vor der Fertigstellung bei 3,7 Mrd Euro. Vor 20 Jahren wurde mit einer Schätzung von 3 Mrd D-Mark begonnen. Gut, das sind nur 60 km Strecke in weniger dicht besiedelter Umgebung und auch nur für 250 km/h, aber immerhin in schwieriger Topographie. Nun haben wir bei HS2 fast die zehnfache Strecke und die Vmax ist größer, aber wie bitte schön komme ich da auf einen Faktor von über 30? Kann mir das mal jemand erklären? Man möge mir die Frage verzeihen, bin ich doch mit den Verhältnissen auf der Insel nicht so vertraut. Bin einfach nur neugierig.
Mal spontan geraten, es gibt ja noch andere Faktoren wie die Anbindung. Ein zusätzliches Gleis oder einfach nur eine Ausfädelung im urbanen Raum auf die Bestandsstrecke zu basteln ist schnell mal teuer. Stuttgart-Ulm trifft an beiden Enden auf in Bau befindliche Stadtbauprojekte in Form von Stuttgart21 und der Neustrukturierung des Knotens Ulm im Zuge von Neu-Ulm21 und dem Weiterbau der SFS nach Augsburg. Ein Teil der Anbindungskosten für die SFS wird sich bestimmt auch in diesen Projekten wiederfinden und die Zahlen der reinen Strecke schönen.
----------------------------------------------------------------------- Darganfyddwch Sir Frycheiniog ag Reilfford Dyffryn Wysg Discover Brecknockshire on the Usk Valley Line
ich kann nicht aus erster Hand berichten, woran es bei HS2 liegt. Aber ich gehe jeden Tag von 9 bis 17 Uhr gewerblich der Tätigkeit nach, technische Bahnanlagen, insbesondere Stellwerke, im Auftrag der Deutschen Bahn zu planen. Das Ingenieurbüro, in dem ich tätig bin, ist in der Branche der Eisenbahnstrecken-Ausrüstungstechnik tätig, also insbesondere nicht in der Trassierung von Neubaustrecken, was ein weiterer Unterschied ist. Unter diesen Vorzeichen kann ich aber vielleicht dennoch etwas Licht darauf werfen, wie Kosten steigen können. Ich sehe da im Wesentlichen drei große Möglichkeiten.
Kostenplanung
Bei einer Kostensteigerung gibt es immer zwei Werte, den alten und den neuen. Wenn es mehrere Kostensteigerungen gegeben hat, dann ist vielleicht nicht immer ganz klar, wo denn die ursprünglichen Kosten herkamen. Diese werden als Kostenplanung ursprünglich von den Ingenieuren angefertigt, welche auch die Baupläne erstellen. Dabei gibt es nur eine halbwegs zuverlässige Methode, die Kosten zu bestimmen, und das ist die wahren angefallenen Kosten von früheren Projekten anzuwenden und ggf. einen Inflationszuschlag aufzurechnen, je nachdem, wie lange diese Vorprojekte schon her sind. Wenn aber etwas ganz neues gebaut werden soll, dann gibt es natürlich keine Referenz und dann ist man als Ingenieur in der blöden Situation, ohne verlässliche Grundlage Kostenangaben liefern zu müssen. Bürointern nennen meine Kollegen und ich diesen Vorgang "in die Luft gucken". Man kann dann eigentlich nur verlieren: Wenn der Wert zu groß ist, bekommt das Projekt von politischer Seite keine Finanzierungszusage, während wenn die Kosten zu gering geschätzt sind, kommt es nach der Ausschreibung (bei der die Bieter ihr Gebot einreichen und somit die Qualität der Kostenschätzung offenbart wird) evtl. zu unangenehmen Situationen für die Ingenieure, da diese dann für die fehlerhafte Kostenplanung verantwortlich gemacht werden können. Insofern haben wir Planungsingenieure allgemein gesagt immer eher den Anreiz, möglichst hoch zu schätzen, aber nicht zu hoch, wobei wir nicht wissen, wie viel "hoch" eigentlich ist. Manchmal gibt es aber auch im Projekt Vorgaben, absichtlich zu niedrig zu schätzen, um Finanzierungszusagen nicht zu gefährden.
Insofern kann eine Kostensteigerung in derart hohem Maße darauf zurückgeführt werden, dass sich das Projekt aus einer unrealistisch niedrigen Kostenschätzung der Realität nähert. Bei der politischen Vorgeschichte von High Speed 2 kann ich mir das vorstellen, wobei ich wie gesagt keinerlei Berührungspunkte weder mit High Speed 2 an sich noch mit Neubaustrecken allgemein habe und es daher nur meine eigene Meinung darstellt.
Technische Risiken
Es gibt rein auf der Technikebene enorme Unterschiede zwischen High Speed 2 und Stuttgart – Ulm. Deutsche Schnellfahrstrecken gibt es seit 30 Jahren und deshalb ist Stuttgart – Ulm keine Technologieneuheit mehr. Ich habe mal gebrainstormt und mir sind die folgenden Technologien eingefallen, welche in Deutschland gängig sind, für die es mindestens einen Hersteller gibt, welcher diese aktiv anbietet und welche mindestens schon einmal verbaut wurden, während alle diese Punkte auf UK nicht zutreffen. Im einzelnen wären das:
– Führerraumsignalisierung (das fehlen einer britischen Führraumsignalisierung war der Grund, warum der IC225 letztlich nur 200km/h fuhr) – LZB (wird in Deutschland inzwischen auch nicht mehr angeboten, aber ETCS L2oS ist als Nachfolger bereits im Einsatz. In UK gibt es bisher nur TPWS, welches für Hochgeschwindigkeit nicht geeignet ist) – Klothoidenweichen mit beweglichen Herzstücken (soweit ich weiß, gibt es in UK keine) – Feste Fahrbahn (ich habe mal etwas über britische Testinstallationen gelesen, aber ich erinnere mich nicht mehr an Details, vielleicht kann das ja jemand anderes recherchieren) – Hochgeschwindigkeitsoberleitung (Re330 oder ähnliche, bitte nicht auf Details festnageln, Oberleitung ist nicht mein Gewerk!)
All diese Dinge müssen zusammen mit High Speed 2 neu eingeführt werden. Bestimmt gibt es noch weitere. Es existieren daher viele Möglichkeiten für Kostensteigerungen, die sich durchaus aufaddieren könnten. Das wäre meine zweite Vermutung, woher die enormen Kostensteigerungen kommen.
Kaufmännische Risiken
Die Ausschreibungen werden ja von den gleichen Ingenieuren zusammengestellt, welche auch die Baupläne erstellen, weil sich aus diesen die benötigten Mengen ergeben, z.B. Kabel oder zu bewegende Erdmassen. Ich selbst habe auch schon Ausschreibungstexte erstellt. Idealerweise hat man dafür rechtssichere Vorlagen. Die Rechtssicherheit kommt durch Erfahrung, also wenn an den Formulierungen noch nie jemand etwas zu kritisieren hatte. Es kommt aber regelmäßig vor, dass Baufirmen Schlupflöcher ausnutzen, wenn Formulierungen mal nicht so gut sind. Ein einfaches Beispiel: In einer Position ist der Einbau eines Teils vorgesehen, aber es fehlt die Passage, dass das Teil erst einmal geliefert werden muss, entweder in derselben oder in einer eigenen Ausschreibungsposition. Wenn eine Baufirma dies bemerkt, bietet sie beispielsweise für den Preis des Lieferns und Einbauens, mit der Perspektive, einen Nachtrag über die fehlende Position des Lieferns zu generieren, sollte sie den Zuschlag bekommen. Dann kann die Baufirma das Liefern quasi doppelt berechnen. Das ist jetzt ein sehr einfaches Beispiel, aber wenn mehrere Ausschreibungspositionen zusammenhängen, dann wird es schnell komplex. Das Generieren von Nachträgen kann sehr lukrativ sein, je nach Qualität der Ausschreibung.
Aus den Medien habe ich entnommen, dass es entlang der HS2-Strecke recht viele NIMBY*-Proteste gibt, teilweise unterstützt von Lokalpolitikern. Das lässt das Vertrauen in das Projekt schwinden. Ich weiß leider nicht, ob es in UK ein Pendant zum Planfeststellungsverfahren gibt, welches in Deutschland dazu da ist, planrechtliche Konzentrationswirkung zu entfalten, sprich dass Einwände und Kritik egal von welcher Seite später nicht mehr rechtsgültig werden können. Aus politischen Gründen gibt es einen Bauzeitplan, der sich vom Eröffnungsdatum aus rückwärts ergibt, und dieser sieht irgendwann den Zeitpunkt der Ausschreibung vor, den man in der Bauabfolge nicht weiter nach hinten verschieben kann, auch wenn die politische Zustimmung und Finanzierung nicht gesichert ist. Insofern besteht in dieser Situation für die Baufirmen die realistische Aussicht, dass das Projekt abgebrochen, also doch nicht gebaut wird, und deshalb ein Anreiz, noch vor Baubeginn so viel Geld wie möglich zu machen, um nicht mit Verlust aus dem Projekt herauszugehen. Daher könnte ich mir vorstellen, dass die Prioritäten der Baufirmen gerade nicht so sehr auf reibungsloses Bauen ausgerichtet sind.
Ich möchte noch mal betonen, dass ich hier über die Verhältnisse bei HS2 spekuliere und es mit Sicherheit nicht genau weiß. Das ist wichtig, denn das ist ein Unterschied. Ich habe zwar Kenntnisse vom Bahnbau, aber nicht in UK und nicht bei Neubaustrecken.
was die von dir angesprochenen technischen Risiken betrifft - sollte es in UK nicht doch wenigstens etwas Erfahrung mit Hochgeschwindigkeitsstrecken geben? Nämlich wegen der Eurostar-Verbindung zwischen Folkestone und London St. Pancras? Oder fährt der Eurostar auf dieser Relation auch mit "nur" maximal 200 km/h?
Auf der HS1, also der Strecke Channel Tunnel Rail Link - London St. Pancras beträgt die Höchstgeschwindigkeit 300 km/h. Gekostet hat die Strecke 51 Mio GBP pro Meile bzw 6,84 bn GBP insgesamt.
Die HS2 ist eine extrem teure Strecke, weil sie zum Teil direkt in die Innenstädte eingebunden wird und neben diversen Untergrund-Problemen auch die hohen Kosten für den Abriß von alten Gebäuden, Positionen für die Umsiedlung von Menschen und sogar Wäldern (in mindestens einem Fall) zu tragen hat.
für High Speed 1 habe ich nur Einblick in die Sicherungstechnik. Dort ist Führeraumsignalisierung und Zugsicherungssystem nach französischer Art, also insbesondere TVM (transmission voie-machine), installiert. Die Strecke wirkt auf mich wie eine Verlängerung der französischen Schnellfahrstrecke auf britischem Boden.