ich beschäftige mich nun seit zehn Jahren mit der Geschichte der Eisenbahnen auf den britischen Inseln. Irgendwie ist mir heute erst aufgefallen, dass man viel seltener auf Drehscheiben stösst, als bei uns in Kontinentaleuropa oder gar den USA.
Oder täusche ich mich da nur?
Soweit ich weiß wurde der erste Ringlokschuppen Großbritanniens 1839 in Derby von der North Midland Railway in Betrieb genommen.
Eine mögliche Erklärung für die wenigen Turntables und Roundhouses fand ich im Zentralblatt der Bauverwaltung (Berlin) vom 1.6.1907:
Die englischen Eisenbahnerwaltungen stellen ihre Lokomotivschuppen neuerdings gewöhnlich in Rechteck- oder Ringform her, die früher angewandte geschlossene Kreisform mit innenliegender Drehscheibe hält man namentlich wegen der schlechten Ausnutzung der Bauplätze und der mangelnden Erweiterungsfähigkeit für unzweckmäßig. Auch vermeidet man gern Anlagen mit einer einzigen Drehscheibe, weil durch deren Schadhaftwerden die Aus- und Einfahrt gesperrt wird. Eine eigenartige Anlage hat die Große Westbahn in den letzten Jahren in London hergestellt, nämlich einen rechteckigen Schuppen mit vier innenliegenden Drehscheiben und strahlenförmig davon ausgehenden Ständen, so dass die Rechteck- und Kreisform vereinigt erscheinen. Der neue Lokomotivschuppen befindet sich auf dem etwa 5 km vom Personenbahnhof Paddington entfernten Betriebsbahnhof Old Oak Common in Acton, London und dient zur dauernden Unterbringung der in London beheimateten Lokomotiven der Westbahn und zur zeitweiligen Aufnahme von fremden Lokomotiven, die Züge von und nach London befördern.
Soweit mir bekannt, war die GWR auch die einzige Gesellschaft die ihre Drehscheiben selber baute. Die anderen wenigen die ich fand, ließen die Drehscheiben meist von Ransomes and Rapier (Ipswich) oder Cowans Sheldon (Carlisle) bauen.
Hier der Grundriss und Lageplan von Old Oak Common im Jahr 1907:
Quelle: Zentralblatt der Bauverwaltung (Berlin) vom 1.6.1907
Quelle: Zentralblatt der Bauverwaltung (Berlin) vom 1.6.1907
Ich bin einer der Modellbahner für den schon in der Kindheit eine Drehscheibe ein absolutes Highlight war. Von daher fände ich den Nachbau von Old Oak Common im Zustand von 1907 im Modell Klasse. Leider braucht man für sowas selbst in Spur Z oder N ewig viel Platz ...
die Frage nach der Popularität von Rechteckschuppen mit Weichenvorfeld anstelle von Ringlokschuppen mit Drehscheibe habe ich in UK auch schon Eisenbahnfreunden gestellt, und neben der Antwort, dass eine Drehscheibe ein "Single-Point-of-Failure" darstellt, auch die Erklärung erhalten, dass gerade Personenzüge im Nahverkehr ausgesprochene "Rush-Hour-Peaks" aufweisen. Es müssen also in kurzer Zeit vor der Rush-Hour viele Loks das BW schnell hintereinander verlassen, was natürlich über Weichen deutlich schneller geht, als über eine Drehscheibe.
danke für den Hinweis, das klingt einleuchtend. In Frahms Eisenbahnwesen steht ebenfalls, dass die Bahngesellschaften ab 1910 von den Drehscheiben und Ringlokschuppen dann generell abkamen und normale, also rechteckige Lokschuppen bevorzugten. In diesen wurden dann bis zu vier Lokomotiven hintereinander abgestellt, allerdings musste dabei darauf geachtet werden, dass die Maschinen in der Reihenfolge abgestellt wurden, in der sie dann wieder losfahren sollten. Bei Lokschuppen die von vorne und hinten zugänglich waren wurden sogar bis zu sechs Lokomotiven abgestellt.
der Plan von Old Oak Common ist ja nun auch wirklich gigantisch. Ich wusste, dass es eine Superlative sein musste, aber den originalen Plan hatte ich noch nicht gesehen. Heute ist das ja schon etwas Bescheidener.
Da ich auch stark mir dem "US-Eisenbahnvirus" befallen bin hat mich schon lange die Frage beschäftigt, warum in USA die Loks mit dem Tender zur Drehscheibe abgestellt wurden, während sie in D und UK bevorzugt mit der Frontseite zur Drehscheibe standen.
Die einleuchtenste Erklärung die ich dazu bisher bekommen habe war die, dass die Loknummern auf den Tenderrückseiten eben deutlich größer aufgemalt werden konnten, und damit leichter zu identifizieren waren als auf den "Numberboards" an der Frontseite.
Es wäre interessant zu erfahren, ob es hierzu auch noch andere Erklärungen gibt.
ich habe dazu in einem anderen Forum folgendes gefunden, was aber anscheinend auch in D und UK so üblich war:
In den Rundhäusern mit Drehscheibe der Reichsbahnzeit, als die Welt der Dampfloks noch in Ordnung war, wurde immer Kamin voraus eingeparkt. Der Lokführer hatte es vorwärts in den Schuppen auch leichter das Gleisende abzuschätzen. Will heissen, die Rauchkammer zeigte immer zur Glasfensterfront, der Schlepptender zum Unterstandstor. Die Lok fuhr also rückwärts aus dem Rundschuppen und vorwärts hinein. Jeder Bedienstete konnte so eine Maschine von aussen sofort finden. Auch der Schuppenheizer hatte es so einfacher. Oft waren die Unterstände ja mit Wartungsgruben versehen. Unter die Lok in den Kanal zum Bremsgestänge abschmieren zu klettern von vorne ist meistens baulich einfacher. Es gab keine modernen "Laternen" geschweige denn Lampen wie heute, die Schuppen waren recht duster, zentrale Rauchabzüge gab es nur auf den Dächern, eine moderne Schuppenheizung auch nicht. Rauchabzüge über den Schloten wurden nach und nach installiert. Auch Heizöfen für den Winter und elektrisches Licht kamen hinzu. An den Vorschriften zum Abstellen änderte sich erst mal Nichts. Erst später zu Museumsbahnzeiten, wurden die kalten Loks dann zur Parade für die Fotofuzzies umgedreht.
Woanders noch eine Erklärung: ...meist wurden Dampfloks im Rundschuppen möglichst mit dem Tender zur Drehscheibe hin eingestellt, so zumindest hat es mir mal ein alter Lokführer erzählt. Sollte mal was an der Lok repariert werden müssen, so war mehr Platz dazu vorhanden.
Klingt beides einleuchtend und würde heißen, dass das wohl erst in der Neuzeit sich so ergeben hat, dass die Loks "verkehrtherum" drin stehen, zwecks der Fotografen
wenn ihr mal im HiFo bei Drehscheibe Online guckt, da finden sich öfter Fotos aus Bw Anlagen. Es gab zumindest bei der DB beide Varianten und auf den Dächern der Schuppen finden sich dann auch die Rauchabzüge entsprechend.
Zitat von Railfun im Beitrag #4Die einleuchtenste Erklärung die ich dazu bisher bekommen habe war die, dass die Loknummern auf den Tenderrückseiten eben deutlich größer aufgemalt werden konnten, und damit leichter zu identifizieren waren als auf den "Numberboards" an der Frontseite.
Dieses Foto vom Roundhouse in Inverness zeigt, dass die Loks wohl grad so wie es kam in den Lokschuppen fuhren, also manchmal vorwärts, manchmal rückwärts:
Quelle: Ambaile - Highland History and Culture Copyright: Highland Railway Society
Hier gibts jede Menge weitere Bilder von diesem Lokschuppen, der 1863 gebaut wurde und bis 1961 in Betrieb war: